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Gedanken zum Buch „Herkunft“ von Sasa Stanisic

Zurzeit geht keinem der Krieg in der Ukraine aus dem Sinn, die Medien berichten auf allen Kanälen, jede Zeitung beschreibt die Bedrohungen, die so nahe gerückt sind. Wir sind besonders deshalb schockiert, da wir uns doch in einer vermeintlich friedlichen Zeit fühlten. Aber die Welt war nie wirklich friedlich, immer gab es irgendwo Krieg.

Kaum, dass die DDR als Staat untergegangen war, wurden wir seit 1991 Zeugen des brutalen und 10 Jahre währenden Krieges auf dem Balkan, durch den auch der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfiel.

In diese Zeit führt uns das jüngste Buch „Herkunft“ von Sasa Stanisic.

Wenn man sich die Fakten bewusst macht, welches Elend, welches Flüchtlingsdrama jeden Krieg begleiten, könnte man meinen, dass es sich bei dem Buch „Herkunft“ um „schwere Kost“ handelt. Doch seine Ausdrucksfähigkeit, seine kurzgefasste bildhafte Sprache mit überraschend humorvollen Wendungen machen dieses Buch zu einer leicht zu lesenden Lektüre. Unsentimental, nacherlebbar in allen Lebensphasen, bekommen die beschriebenen Situationen und das jeweilige Verhalten der Betroffenen Allgemeingültigkeit. Das komplizierte Einfinden in eine fremde Welt wird dem Leser ohne Nachdruck, ohne lehrhaften Zeigefinger vermittelt.

Der „geborene Geschichtenerzähler“ führt in kurzen -nicht immer chronologischen- Kapiteln durch sein Leben und schafft dabei eine Atmosphäre, die die Lebensbedingungen der Eltern und der Familie deutlich zu machen. Die Flucht erlebt Sasa Stanisic 14-jährig, als er mit seinen Eltern 1992 aus dem bosnischen Vis(ch)egrad zu einem Onkel nach Heidelberg entkam.

Am Ende nimmt er Abschied von seiner dementen Großmutter. „Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre.“ Dieser letzte Abschnitt im Buch atmet Liebe und Menschlichkeit vom Werden und Vergehen eines Lebens.

Leseprobe:

„Fragt mich jemand, was Heimat für mich bedeutet, erzähle ich ihm von Dr. Heimat, dem Vater meiner ersten Amalgam-Füllung. ….. erzähle ich vom freundlichen Grüßen eines Nachbarn über die Straße hinweg. Ich erzähle, wie Dr. Heimat meinen Großvater und mich zum Angeln an den Neckar eingeladen hat. Wie er Angelscheine für uns besorgt hat. Wie er Brote geschmiert und sowohl Saft als auch Bier dabeihatte, weil man ja nie weiß. Wie wir Stunden nebeneinander am Neckar standen, ein Zahnarzt aus Schlesien, ein alter Bremser aus Jugoslawien und ein siebzehnjähriger Schüler ohne Karies und wie wir alle drei ein paar Stunden lang vor nichts in der Welt Angst hatten.“…..

„Herkunft“ wurde mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Viele andere Ehrungen und Preise wurden Sasa Stanisic schon verliehen.

Ich dachte: „Herkunft“ ist ein trockener Titel – aber, er lässt so viele bunten Facetten zu!


 [AG1]

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