Berlin steckt 2025 weiterhin in einer beispiellosen Wohnungskrise. Knapp 56.000 Wohnungen fehlen, mehr als 50.000 Menschen sind wohnungslos – und nach Schätzungen des Senats könnte sich diese Zahl binnen vier Jahren fast verdoppeln. Als Hauptrezept wird aktuell die Nachverdichtung bestehender Quartiere angeführt: Lückenbebauung, das Aufstocken von Wohnhäusern und das Zubauen von Innenhöfen. Doch hinter dieser Strategie verbirgt sich ein gravierender Zielkonflikt zwischen der Schaffung von Wohnraum, sozialem Zusammenhalt und ökologischer Nachhaltigkeit.[1][2][3]
Nachverdichtung – Gefahr für soziales Gefüge
Soziale Folgen von Nachverdichtung sind evident: Bewohnerinnen und Bewohner fürchten Einbußen bei der Wohn- und Lebensqualität, Anonymisierung, mehr Lärm und weniger Licht. Studien warnen, dass Versiegelung und Verlust identitätsstiftender Freiräume soziale Spannungen fördern, Segregation begünstigen und bestehende Nachbarschaftsstrukturen gefährden. Besonders kritisch ist, dass Nachverdichtung oft teure Neubauwohnungen produziert, die bestehende Mieter verdrängen und Gentrifizierung beschleunigen können. Trotz des wachsenden Drucks geben Bürgerinitiativen zu bedenken, dass Nachverdichtung bislang häufig rücksichtslos betrieben wird, ohne die lokale Bevölkerung angemessen einzubinden.[4][5][6][3]
Historische Lehren: Verdichtung mit Risiken
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass übermäßige Verdichtung der Quartiere soziale Konsequenzen hat. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts dokumentierten Heinrich Zille und Franz Hessel das Elend überfüllter Mietskasernen in Berlin. Die nachfolgenden Wohnungsbauprojekte der 1920er Jahre setzten bewusst auf Licht, Luft und Grünflächen. Auch beim Aufbau großer Siedlungen in Ost-Berlin wie Marzahn und Hellersdorf wurde auf Infrastruktur und Freiflächen geachtet, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.
Grünflächen – Stadtklima unter Druck
Grüne Freiräume, insbesondere gewachsene Innenhöfe, sind essenziell für das soziale Zusammenleben und die Klimaanpassung der Stadt. Sie bieten Kindern Spielmöglichkeiten, alten Menschen Erholung und allen Bewohnern Schutz vor Hitze sowie Raum für Begegnung. Zugleich wirken sie temperaturregulierend, verbessern die Luftqualität und nehmen Starkregen auf. Im Zuge des Klimawandels gewinnen diese Funktionen massiv an Bedeutung: Ohne ausreichend Grün drohen Städte wie Berlin zu überhitzen. Die rot-schwarze Landesregierung hat daher angekündigt, eine Million neue Bäume bis 2040 zu pflanzen und das Stadtklima gezielt zu verbessern, doch jede Versiegelung wiegt schwer.[7][8][6][9]
Ilsekietz Karlshorst – ein Beispiel für Fehlentwicklungen
Das Negativbeispiel liefert aktuell der Ilsekietz in Berlin-Karlshorst: Dort plant die landeseigene HOWOGE die Bebauung fast aller bislang öffentlich zugänglichen grünen Innenhöfe mit über 230 neuen Wohnungen. Die heute von Kindern, Familien und Senioren genutzten Flächen werden weitgehend versiegelt – Spielplätze und Erholungsräume verschwinden. Anwohner und Bürgerinitiativen protestieren seit Jahren gegen dieses Vorgehen; sie fordern den Erhalt mindestens eines Innenhofs und verweisen darauf, dass das Quartier gerade durch seine grünen Freiräume sozial und klimatisch attraktiver ist. Beispiel Ilsekietz zeigt: Trotz politischen Bekennens zum Klimaschutz droht die soziale und ökologische Balance in Berlins Quartieren aktuell aus dem Gleichgewicht zu geraten.[10][11][12]
Quellen
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/prognose-des-berliner-senats-zahl-der-wohnungslosen-konnte-sich-um-knapp-60-prozent-erhohen-14099261.html
- https://www.berliner-mieterverein.de/presse/pressearchiv/mietenreport-2025-des-deutschen-mieterbundes.htm
- https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-01-13_hgp_innenentwicklung_umweltqualitaet_gesundheit_sozialvertraeglichkeit_final_bf.pdf
- https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/dc/39/51/oa9783839474129WPbuSQQknJb7m.pdf
- https://www.berliner-mieterverein.de/aktuelles/newsletter/ungenutzte-chancen-was-bei-der-nachverdichtung-schieflaeuft-und-wie-es-besser-gehen-kann-nl0123.htm
- https://www.radiosaw.de/berlin-will-stadtklima-mit-baumgesetz-verbessern
- https://entwicklungsstadt.de/hitzevorsorge-klimaschutz-diese-10-staedtebaulichen-massnahmen-machen-berlin-zukunftsfest/
- https://baumpflege-baumdienst-berlin.de/begruenungskonzepte-stadtklima/
- https://entwicklungsstadt.de/ilsekiez-in-karlshorst-bau-von-zehn-neuen-wohnhaeusern-startet-2025/
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/nachverdichtung-in-berlin-lichtenberg-am-ende-ist-der-radweg-schuld-8781016.html
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/grune-innenhofe-sollen-eigentlich-geschutzt-werden-funf-bauantrage-fur-den-ilsekiez-in-berlin-9902345.html
- https://www.staedtebaufoerderung.info/SharedDocs/downloads/DE/Praxis/ArbeitshilfenundLeitfaeden/LebendigeZentren/exwost-nachverdichtung.pdf?__blob=publicationFile&v=2